Von Lutz Bernhardt
39° 56’ Nord, 116° 23’ Ost. Hinter diesen Koordinaten verbirgt sich ein Ort, an dem schon im Jahr 1450 rund 600.000 Menschen wohnten. Dort leben heute achtjährige Mädchen in rosa Zimmern mit Hello-Kitty-Bettwäsche. Dort sind geschätzt mehr Porsche Cayennes auf der Straße als in München, und der Flughafen hat das zweitgrößte Passagieraufkommen der Welt. Dieser Ort heißt Peking. Für die einen Moloch und Armutsfalle, für die anderen Verheißung von Wohlstand und Perspektive.
Aus westlicher Sicht repräsentiert dieser Ort ein Bündel sich widersprechender Attribute: Menschenrechtsverletzungen sowie militärische und wirtschaftliche Bedrohung einerseits, Eintritt in einen der wenigen verbliebenen Wachstumsmärkte andererseits. Aus chinesischer Sicht ist Peking schlicht die Mitte des Reichs der Mitte: Zentrum der Weltsicht, Wiege der Kultur. Was ist dieser Ort? Er ist unfassbar.
Die Künstler Maya Schweizer und Clemens von Wedemeyer unternehmen im Rahmen der Ausstellung „Die Stadt, die es nicht gibt“ dennoch den Versuch einer Annäherung in ihrer raumgreifenden Installation „Metropolis. Report from China“. Sie verketten Fotografien, Dias, Filmsequenzen, Poster und Videos aus und über Peking mit Motiven von „Metropolis“, dem legendären Film von Fritz Lang. Schweizer und Wedemeyer machen auf diese Weise Zusammenhänge in der ästhetischen und sozialen Ordnung von Architektur und Stadtkonzept sichtbar. Wie ist hier Macht räumlich organisiert? Wie funktioniert Information und Unterhaltung, Arbeit und Leben? Wie stehen sich menschliche und räumliche Existenz gegenüber?
Insgesamt 20 Künstler stellen im Ludwig Forum diese und ähnliche Fragen über Orte, die weltweit verstreut sind. Praktisch vor der Aachener Haustüre kommentiert Wilhelm Schürmann das „Unvermögen und aussichtslose Bemühen“ von Hausbewohnern in Herzogenrath-Kohlscheid, ihre kleine Welt nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Dabei kommen absurde Stil- und Kulturmischungen zum Vorschein; erfüllen sie dennoch ihren Zweck? Die österreichische Fotografin Aglaia Konrad dokumentiert mit der Serie „Desert Cities“ die nüchterne Wirklichkeit ägyptischer Sozialbau-Projekte in der Peripherie von Kairo.
Armin Linke bringt von seinen Reisen durch die Welt Bilder aus Pjöngjang mit und zeigt nüchtern, wie die städtebauliche und architektonische Planung des öffentlichen Raums eines gewiss zu verhindern weiß: nämlich Öffentlichkeit im demokratischen Sinn.
Diese und weitere Arbeiten u.a. von Kader Attia aus Nordafrika, von der Filmemacherin Nadia El Fani über Aspekte des sogenannten Arabischen Frühlings, von Magnum-Fotograf Paolo Pellegrin über das Japan nach der Katastrophe, verknüpfen im Ludwig Forum globale Räume auf einer gedachten Landkarte zur „Stadt, die es nicht gibt“. Der Titel weist die Richtung; Brigitte Franzen, Direktorin des Hauses und Kuratorin der Ausstellung, geht letztlich einem Phänomen der Globalisierung nach: Einerseits machen Bildinformationen in enger Taktung die Gleichzeitigkeit relevanter Ereignisse spürbar, gaukeln uns vor, die Welt sei ein Dorf und wir wüssten Bescheid. Andererseits fühlen wir permanent den Grundton des Mißtrauens und erleben die Krise der Repräsentation, weil heute mehr als fraglich ist, ob ein Bild wirklich noch die Wirklichkeit abbildet. Und das nicht nur hier: 39° 56’ Nord, 116° 23’ Ost. Sondern auch hier: 50° 46’ 30“ Nord, 6° 5’ 42“ Ost. ///
bis 20.1.2013
„Die Stadt, die es nicht gibt“ – Fotografische und filmische Räume
Ludwig Forum für Internationale Kunst
Ludwig Forum für Internationale Kunst
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