von Sebastian Dreher
Mit 16 Jahren hat Sebastian Lynen beschlossen, Friseur zu werden. Obwohl er genau das eigentlich nicht wollte, immerhin haben bereits Papa und Mama Haare geschnitten. Und den Beruf der Eltern weiterführen, wie uncool. Doch Schülerpraktika als Raumausstatter, Dekorateur und Goldschmied haben ihm gezeigt, dass er kreativ sein, aber dabei mit Menschen arbeiten will – so landete er am Ende doch beim Offensichtlichen.
Von der Pike auf
Doch die Ausbildung machte er nicht in heimischen Gefilden, sondern bei einem Aachener Modefriseur. Etwas später wechselte er in einen klassischen Innungsbetrieb, in den hauptsächlich „ältere Ladys die Haare gemacht bekamen“, wie er sagt. Dort bekam er sein Fundament, lernte von der Pike auf, aber auch, wie man auf Zeit ausgefallene „Stegfrisuren“ macht. Mit diesem Wissen arbeitete er nach seiner Ausbildung für ein international arbeitendes Friseurunternehmen und gibt seitdem Schulungen in den USA, Kanada und Europa.
Als er meinte, dass er fachlich soweit ist, verkündete er seinem Vater, er stünde ab sofort als Mitarbeiter für den Broichweidener Salon zur Verfügung. Seitdem sind die beiden ein gut funktionierendes Team.
Mimik und Gestik im Blick
Neben der nötigen Fingerfertigkeit entwickelte Sebastian mit der Zeit noch ein weiteres Talent – nonverbale Kommunikation. Neben den Erklärungen der Kundinnen (und Kunden), wie die neue Frisur aussehen sollte, achtet er besonders auf Mimik und Gestik. „Wie sich eine Frau beim Blick in den Spiegel in den Haaren herumfummelt, zeigt mir oft schon, was ihr Problem ist“, erklärt er das Phänomen. So könne das Wegstreichen des Ponys darauf hindeuten, dass die Kundin in der letzten Zeit mehr Selbstbewusstsein erlangt hat und deshalb mehr von sich zeigen will.
Im Gegenzug lassen sich von der Wunschfrisur Rückschlüsse auf das Privatleben ziehen. Der Wunsch, lange Haare abzuschneiden, deutet auf eine Veränderung im privaten oder beruflichen Umfeld hin. Und das gilt nicht nur für Frauen. „Letztens habe ich einem Mann die Haare ziemlich radikal verändert“, sagt Sebastian. „Bei unserem zweiten Treffen hat er mir schließlich von seiner beruflichen Veränderung berichtet.“
Im Zweifel keine krassen Schnitte
In die Verantwortung eines Friseurs gehört es auch, Kunden von augenscheinlich falschen oder Kurzschluss-Reaktionen abzuraten, wenn er Zweifel in der Entscheidung spürt. „Der Klassiker ist das junge Mädchen, dass sich von ihrem Freund getrennt hat. Wenn die dann sagt: ‚Ich wollte mir die Haare mal kurz schneiden. Was meinst du?‘, rate ich von krassen Schnitten ab.“
Bei Sebastians Kundschaft kommt diese Sensibilität gut an. Doch er weiß auch, wie schnell man diese verlieren kann. „Eine unzufriedene Frau verdrängt mehr Kundinnen als eine zufriedene Frau Neukundinnen generiert“, weiß er aus eigener Erfahrung.
Direkte Rückmeldung
So oder so: Sebastian liebt seinen Job. „Friseure gehören zu den glücklichsten Menschen“, sagt er. „Wir bekommen eine direkte Rückmeldung auf unsere Arbeit – verbal, aber auch nonverbal. Das gibt es bei kaum einem anderen Beruf.“
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