Von Sibylle Offergeld
Sind Vegetarier Bedenkenträger und ganzheitlich Schauende oder sind sie missionarische Eiferer, die uns die Freuden am fröhlichen Jagen vergällen? Wie an- und aufregend die Suche nach dem eigenen Standort sein kann, das zeigt ein Team des Theaters Aachen mit den Ideengebern und Konzeptträgern Harald Wolff und Regisseur Stefan Nolte, mit Koch Arpad Dobriban, Bühnen- und Kostümbildner Mathis Neidhardt und den Schauspielern Rainer Krause, Markus Weickert und Pablo Sprungala.
Appetitanregend portioniert
Die Bühnenadaption des 2009 in den USA und ein Jahr später im deutschsprachigen Raum erschienenen Buches „Tiere essen“ muss Vieles bündeln, appetitanregend portionieren und verpacken. Dokumentarisches trifft auf moralischen Appell, darf aber nicht langweilen oder ins Doktrinäre abgleiten.
Diesen schwierigen Balanceakt meistern die Gestalter der Uraufführung in der Kammer des Theaters Aachen mit schnellem Wechsel zwischen dramatischem Akzent, maßvoll sarkastisch-satirischen Schlenkern in Darstellung und Gegendarstellung und einem munteren Spiel um und vor dem Kochblock von Küchenchef Dobriban.
Der Ungar steht als ruhender Pol vor einem Sortiment glänzender Töpfe, anfangs umringt von den drei Grün schnippelnden und Möhren hackenden Darstellern.
Während auf den Kochplatten ein vegetarisches Mahl und eine Suppe aus Tierknochen sieden, fühlt sich das Schauspieler-Trio in die Spurensuche des Erzählers ein und schlüpft imaginär in die Haut der Massentierhaltungs-Opfer.
Vom Mensch zum Tier
Nach der Geburt des Sohnes begibt sich der Autor auf die Suche nach einer Leben spendenden Nahrung, die nicht von den Angsthormonen gepeinigter Tiere verseucht und von den Medikamenten zur Ertragsoptimierung infiziert ist. Dabei steigt er mit einer Tierschutz-Aktivistin in einen Geflügelzuchtbetrieb ein.
Plötzlich flimmern Bilder zusammengepferchter, toter und halbtoter Tiere über eine Filmwand, ein Foto wandert von Hand zu Hand durch die Zuschauerreihen. Rainer Krause mutiert mittels wuscheligem, weißen Höschen zum Hühnervogel und hängt wenig später zur Demonstration am Fleischerhaken zwecks Exekution. Zum drohenden Orgelton der Musik (Malcolm Kemp) werden Visionen einer grausamen Tortur im Großbetrieb beschworen, in der gestresste und überforderte Mitarbeiter unter Zeitdruck erbarmungslos metzeln. Aber auch der Achtung vor der Natur empfindende und artgerecht handelnde Tierhalter kommt zu Wort.
Irgendwann kauern alle drei Mimen symbolträchtig hinter Gittern unter dem Herd des Nahrungs-Ästheten, der eine neue Sinnlichkeit des Essens propagiert. Dobriban geht es nicht um eine Ersatzreligion für Aussteiger und Konsumverweigerer. Vielmehr um eine andere Sicht der Dinge, um einen nahezu meditativen Umgang mit dem Kochen.
Warum muss ungefähr die Hälfte der produzierten Tiere auf dem Müll landen? Das ist hier die Frage. Warum nicht Knochen und andere Reste nutzen, warum nicht den Fleischverzehr auf einen Tag in der Woche reduzieren und beim Biometzger einkaufen? Aber dafür muss ein neues Modell mit überschaubarer Dimension geschaffen werden.
Mitdenken ist erwünscht
Die Gestalter der Aachener Inszenierung sind im regionalen Umfeld fündig geworden, haben beispielsweise Kleinstrukturen entdeckt, in denen achtsam mit dem Geschöpf Tier umgegangen wird, und einen Hersteller von Biogemüse, der Bioparzellen an Einzelkunden verpachtet.
Ein Aufruf zum Vegetarismus soll das Theaterstück in Aachen nicht sein. Nach der Aufführung wurde aus Mini-Schälchen bei einem kulinarischen Happening getafelt. Das Publikum reihte sich im Foyer der Kammer in zwei Schlangen vor den Hinweistafeln für Fleischloses und für Tierisches ein. Beide Seiten waren nach der Kostprobe voll des Lobes. Karten gibt es im Kapuziner Karree bei Klenkes-Tickets. ///
10.7.
„Tiere essen“
20 Uhr, Kammer, Theater Aachen
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