Armer Siggi! Siggi Jepsen, Insasse eines Internats für schwer erziehbare bzw. straffällig gewordene Jugendliche, soll einen Deutschaufsatz über „Die Freuden der Pflicht“ schreiben. Siggi fühlt sich von den auf ihn einstürmenden Erinnerungen so überwältigt, dass er nicht weiß, wo er anfangen soll, und schafft es trotz größter Anstrengung nicht, auch nur eine Zeile zu Papier zu bringt. Zur Strafe eingesperrt in eine Zelle, schreibt er nun aber ein Heft nach dem anderen voll, erinnert sich an seinen älteren Bruder Klaas, an seine Familie und die Aufgabe, die ihm sein Vater, Dorfpolizist Jens Ole Jepsen während des Nationalsozialsims gab: ohne Rücksicht auf Ehrgefühl, Menschlichkeit, Freundschaft und Individualität seine angebliche Pflicht tun zu müssen. Und eben das, was Siggi daraus machte.
Roman oder Theater
Aber wie bringt man denn einen Roman mit gut 560 Seiten auf die Bühne? Für Sonnenbichler ist das keine Frage: „Geschichten, die gut sind, gehören für mich einfach auf die Bühne. Und Lenz Geschichte ist nicht nur unheimlich gut, sondern auch aktuell: denn wenn jemand seine Idee von der Welt wichtiger nimmt und höher hält als alle Empathie und Menschlichkeit, entsteht gefährliches Ungleichgewicht. “ Wolff stimmt dem zu: „Wir haben uns auch nicht die Frage gestellt, „was können wir aus dem Roman machen? Wir haben überlegt, welche Möglichkeiten zur Darstellung hat das Theater, die der Roman nicht hat?“ Und die haben sie gefunden.
Ein bisschen Stolz schwingt mit, als Sonnenbichler erzählt, dass in ihrer Version nur mit Sätzen aus dem Original gespielt wird. Kein Wort ist dazu erfunden. Vielmehr haben sie und Wolff eine Theaterversion konzipiert, in der sie die Geschichte des Romans beibehalten haben, keine Dialogform aus dem Roman fertigten, sondern Siggi seine Geschichte erzählen lassen und seine Erinnerungen zeitgleich mit auf die Bühne bringen.
Siggi mal fünf
Und dafür bedient sich Sonnenbichler an der Macht des Theater, mit einfachen Mitteln eine Welt zu erschaffen: „Ich glaube, man braucht auf einer Bühne nicht sehr viel, um für den Zuschauer poetische Bilder und die Welt in Siggis Kopf herbei zu zaubern: man braucht nur die Kraft der Sprache, die Magie des Erzählens und ein paar simple Bühnenvorgänge. So kann zum Beispiel die nordische Gegend mit Hütten und Strand, einem Fahrrad und vielem mehr, fast aus dem Nichts erschaffen werden.“ Der „Ich-Erzähler“ Siggi schildert in seiner Zelle, die Norbert Bellen für die Bühne des Theater Aachen gestaltete, seine Geschichte. Dabei übernimmt jeder der fünf Schauspieler mal die Rolle des Siggi. Wichtig war für Sonnenbichler, dass alle Schauspieler gleichberechtigt sind und ein Ensemblespiel entsteht.
Aber keine Angst, das Stück ist kein abstrakter Gedankenkonstrukt, sondern hat einen greifbaren und sinnlichen Zugang. Und in den Proben hat sich bereits gezeigt: Es klappt und macht allen Beteiligten viel Spaß.
Zurück in Aachen
Apropos alle Beteiligten: Melodien, Atmosphären, instrumentale Stücke und Sounds, wie Möwen, Wind und Meeresrauschen, die Siggis Erinnerungen untermalen, hat Malcolm Kemp während der Proben entwickelt. „Er hat schöne und fließende Musik komponiert, die zum Beispiel die Weite Norddeutscher Landschaft in sich trägt“, verrät Sonnenbichler, die mit der „Deutschstunde“ zum neunten mal am Theater Aachen eine Regiearbeit übernimmt. „Es ist für mich so ein bisschen wie nach Hause kommen. Und wenn sich ein Haus und ein Regisseur gemeinsam weiterentwickeln, ist das so ziemlich das Beste, was passieren kann. Das habe ich bei den Proben mal wieder festgestellt.“
Dann also mal auf ins Theater, wenn zu einer Doppelstunde Deutsch gerufen wird. Und anders als vielleicht in der Schule damals, verspricht Sonnenbichler: „Der Zuschauer braucht keine Angst zu haben, das garantiere ich!“
19. und 26.3.
„Deutschstunde“
19.30 Uhr, Bühne Theater Aachen
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