Belmonte, ein spanischer Edelmann, ist auf der Suche nach seiner Verlobten Konstanze. Sie, ihre Zofe Blonde und deren Geliebter Pedrillo wurden von Sklavenhändlern entführt und an den türkischen Herrscher Bassa Selim verkauft, der Pedrillo als Gärtner einstellt und Blonde an Osmin, seinen Diener, verschenkt. Selim seinerseits verliebt sich in Konstanze, die ihn aber zurückweist und Belmonte treu bleibt.
Als Belmonte die Vermissten in Selims Palast findet, planen sie die Flucht. Die scheint zunächst auch zu gelingen, doch dann werden sie von Osmin entdeckt, der auf eine harte Bestrafung hofft. Als sich herausstellt, dass Belmonte der Sohn seines ärgsten Feindes ist, vor dem er einst als Christ ins Morgenland geflohen war, lässt der Bassa die Gefangenen überraschend frei. Es ist, wie er sagt, „ein weit grösser Vergnügen eine erlittene Ungerechtigkeit durch Wohltaten zu vergelten, als Laster mit Lastern tilgen.“
Der Gnadenakt in Mozarts Singspiel „Die Entführung aus dem Serail“, welches jetzt am Theater Aachen neu inszeniert wurde, hat seit seiner Uraufführung 1782 immer wieder unterschiedliche Deutungen hervorgerufen. Regisseur Sebastian Hirn hat hierzu auch etwas beizutragen und knüpft an den Aufklärungsgedanken an. Er möchte dabei die Wirkungsweise von Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen, die sich aus bestimmten Rollenverständnissen ergeben, hinterfragen. Das ist schon ambitioniert. Schade nur, wenn Libretto und Regieanweisungen nicht so recht hierzu passen wollen.
So wird eben was nicht passt, passend gemacht und aus Bassa Selim kurzerhand eine Frau. Nein, nichts Lesbisches, sondern nur zum Hinterfragen von Macht- und Abhängigkeits-verhältnissen. Ja und dann das Blondchen. Bei Mozart noch ein sittsames Weibchen, welches dem liebestollen Osmin zur Wahrung ihrer Unschuld stets droht, ihm die Augen auszukratzen, wird sie in der Aachener Aufführung eine femme fatale, die Sex hat, wenn sie?(!) es möchte. A propos femme fatale: Französischkenntnisse beim Opernbesuch sind keineswegs schädlich. Bassa Selim bedient sich schließlich der Sprache der Aufklärung. Der Originaltext wird hierdurch längenmäßig ordentlich aufgepimpt. Aus dem landläufig auf zweieinhalb Stunden angelegten Singspiel werden so abendfüllende dreieinhalb Stunden.
Wer meint, dass die Vielfalt der Fragestellungen, die Sebastian Hirn beschäftigen, in der Inszenierung ihren Ausdruck findet, wird ernüchtert. Dekoriert wurde nicht einmal die Bühne, sondern - wer weiß warum – der Orchestergraben. Und das einzige Requisit ist ein Teppich – oder hätte ein solcher sein sollen. Der Kulturen verbindende Gedanke, den Bühnenboden mit orientalischer Tapisserie zu belegen, die von muslimischen Vereinen als Leihgabe zur Verfügung gestellt werden sollte, ließ sich, da die guten Stücke bei einigen Sängern heftige allergische Reaktionen auslösten, leider nicht realisieren, so dass auf bedrucktes PVC zurückgegriffen werden musste.
Insgesamt wird die Inszenierung den hohen Ansprüchen, die die Regie an die Aussagekraft des erweiterten Librettos stellt, kaum gerecht. In jeder Hinsicht überzeugen kann allein die Musik: Kazem Abdullah wählt lebhafte Tempi, die einen wohlgefälligen Kontrast zu den bisweilen schwerfällig anmutenden Textpassagen auf der Bühne bieten.
Die Solisten bieten allesamt ansprechende Leistungen. Bei den Männerstimmen überzeugt vor allem Randall Jakobsh in der Basspartie des Osmin. Cigdem Soyarslan besticht als Konstanze durch mit scheinbarer Leichtigkeit vorgetragene, lupenreine Koloraturen, deren fast synthetische Klangfarbe etwas mehr Persönlichkeit gut zu Gesicht stehen würde. Zum Publikumsliebling des Abends avanciert Larisa Vasyukhina in der Rolle der Blonde. Welche Wonne, welche Lust – nicht nur der Titel ihrer Arie im zweiten Akt.
Schauspielerisch imponieren kann auch Pascale Schiller in der Sprechrolle des Bassa Selim. Für das gesamte Spektrum ihrer Gemütslagen hat ihre beeindruckende Stimme ein eigenes Register.
Das Publikum spendet den Akteuren auf der Bühne und im Graben reichen Applaus. Zu recht. Die Inszenierung erhält kräftige Buh-Rufe. Auch zu recht. \ uh
20., 22., 27. und 29.5.
„Die Entführung aus dem Serail“
diverse Uhrzeiten, Bühne, Theater Aachen
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