Von Marco Siedelmann
Es herrscht ein gewisser Konsens darüber, dass die Filme von Aki Kaurismäki mit ihrem trockenen Humor und der stillen, in sich gekehrten Verzweiflung der Befindlichkeit der Finnen sehr nahe kommen. Sein genuin-cineastischer Blick (Kaurismäki ist filmgeschichtlich geschult, und das merkt man seinem Geschichtenerzählen an) lässt sich nur schwer in ein anderes Medium übertragen, möchte man meinen.
Allzu angestrengte Vergleiche greifen in diesem Fall ohnehin nicht, denn „Lichter ziehen vorüber“ ist keineswegs ein auf die Bühne gebrachter Kaurismäkifilm, das nach allen Seiten hin ausgefaserte Stück übernimmt nicht einmal den von Plansequenzen bestimmten, raumgreifenden Stil des Regisseurs, der selten mehrere Details parallel drapiert.
Sozialromantischer Aspekt
Zwar hangelt sich die minimalistisch gehaltene Handlung an einer referenziellen Perlenkette entlang, die alle entscheidenden Leitmotive abdeckt und Verweise auf verschiedene Filme des Regisseurs von „Schatten im Paradies“ über „I Hired a Contract Killer“ bis hin zum jüngsten Spielfilm „Le Havre“ enthält. In dieser kenntnisreichen Hommage von Christina Rast, die auch hier, wie schon in der gefeierten „Tartuffe“-Inszenierung, erneut mit ihrer Schwester Franziska zusammenarbeitet, wird der sozialromantische Aspekt der Filmvorlagen stärker akzentuiert.
Zudem wähnt man sich beizeiten in einer skurrilen Komödie mit schwer kafkaesker Note – die Figuren qualmen, betreiben nichtigen Smalltalk, sehnen sich nach dem Unbekannten, erstarren dabei aber in der Gleichförmigkeit des Alltags. Das alles kommt in penibel arrangierten Bewegungsabläufen zum Ausdruck. Die Rhythmisierung der Tristesse ist einerseits urkomisch, weiterhin aber natürlich von einer tiefsitzenden Traurigkeit erfasst.
Leidenschaft für Musik
Das spektakuläre Bühnenbild erzeugt mit seinen verblichenen Kneipenschildern, gebogenen Laternen und den tristen Arbeitsplätzen in der Mitte eine Hopper-Atmosphäre, die durch einen besonderen Überraschungseffekt eine multiperspektivische Nuance erlangt: Als die Rückwand nach einigen Minuten hochgezogen wird, offenbaren sich dem Publikum hinter der Bühne weitere Zuschauer, die sich so durch das Stück hindurch betrachten. Egal, welchen Platz man nun inne hat, dass gesamte Stück ist durch geschickte Raumtrennungen und die Spielrichtung der Darsteller für niemanden zu sehen. Ein Herzstück des Kaurismäki-Universums ist die Leidenschaft für Musik – und auch auf der Bühne sind die verschiedenen Songs immer wieder Highlights.
Das Outfit der Band „The Franks“ orientiert sich an den kultträchtigen Leningrad Cowboys, was als offensichtlichstes Zitat aus den Filmen übernommen wurde. Die Band deckt dabei eine breite Palette von Rock’n’Roll über lakonischen Blues bis hin zum Schlager – bemerkenswert auch der selbstironische Auftritt der Sopranistin Sanja Radisic, die sonst in den Opernproduktionen des Theater Aachen glänzt. Eine Uraufführung der besonderen Art, die auch für theaterscheue Neugierige den Blick für die Möglichkeiten der Bühne weiten kann. ///
1., 14., 16., 21., 22. und 26.6.
„Lichter ziehen vorüber“
20 Uhr, Bühne, Theater Aachen
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